Wer in einem anderen Land lebt, der stellt immer wieder fest, dass Selbstverständliches nicht selbstverständlich ist. Manchmal verstehe ich die ”einfachsten Dinge” nicht - weil ich nicht die gleiche Pflichtlektüre gelesen habe, nicht die gleiche Werbung kenne, mir als Kind nicht die gleiche Suppe eingeflößt wurde, ... eben nicht das gleiche Alltägliche erlebt habe, wie die Menschen um mich herum.
Nun habe ich einmal erlebt, wie meine Selbstverständlichkeiten für die Leute hier eben überhaupt nicht selbstverständlich sind.
Ich bin ja jetzt Babytrageberaterin. Das heißt, ich helfe Leuten eine gute Art zu finden, wie sie ihr Baby tragen können. Helfe Tragetücher zu binden, Tragenhilfen einzustellen, zu entscheiden, welche Trage gekauft werden sollte, ect.
Letzten Sonntag war ein großes Mütter-Treffen zum Thema Tragen und ich und mein Wissen, wir waren sehr gefragt.
Mehrfach kamen Mütter mit ihrem Baby in ihrer Trage auf mich zu und beschrieben mir ein ähnliches Problem: ”Ich bekomme mit dem Baby in der Trage ganz schnell und ganz schlimme Rückenschmerzen, mache ich etwas falsch?” Beim Anblick dieser Mamas und ihrer Tragebabys brauchte es nun wahrlich keinen Profi um das Problem sofort zu identifizieren. Ich war irgendwas zwischen belustigt, verunsichert und schockiert dieses Mama-Baby-Gespann vor mir zu sehen, bei dem die Mutter wohl die Trage so wie sie gekauft hatte angelegt hat, ihr Baby reingesteckt, irgendwie die Träger über die Schulter gestriffen hat und dabei Null Komma gar nichts festgezogen hat. Und dann wundert sie sich, dass das unbequem ist. Das Baby muss sie mit den Händen stützen, es hat ja keinen Halt bei den langen Trägern, der Hüftgurt hängt sonst wo und ich bekomme vom Anschauen schon Rückenschmerzen. (An das Baby und seinen Rücken wollen wir an dieser Stelle gar nicht denken)
Eine wahre Herausforderung an meine Liebe, Demut und Geduld. Als ich dann innerhalb von zwei Minuten der Mutter gezeigt habe, dass man die Schultergurte straffen kann, haben die Mamas wahre Trage-Revolutionen erlebt. Plötzlich war die Sache bequem. Plötzlich hatten sie wirklich die Hände frei. Plötzlich fühlte sich das kleine Baby nichtmehr wie ein Zementsack an. So schön, in so kurzer Zeit helfen zu können.
Doch zurück zum Weltwissen.
Neben der Herausforderung bezüglich meiner zwischenmenschlichen Kompetenz, war das ganze dann auch eine Herausforderung bezüglich meines Verstehens. Ich bin ja Deutsche. Ich möchte ja wissen warum. Warum? Warum ziehen diese Frauen nicht einfach die Träger fest? Das ist doch absolut das gleiche wie bei jedem Rucksack. Warum leiden die wochenlang und finden selbst keine Lösung? Einfach wie man einen Rucksack festzieht, so auch die Babytrage festziehen. Das ist doch völlig logisch!
Doch ist es das wirklich?
Einfach wie ein Rucksack?
Hier liegt das Problem. Die Leute hier haben keinen Rucksack. Schon gar nicht den deutschen dicken Reiserucksack, den sie sich mit 20kg beladen auf den Rücken schmeißen um in Urlaub zu fliegen. Auch keinen Wanderrucksack, der exakt passen muss, damit man die 3-Tagestour überlebt. Hier gibt es keine Rucksäcke. Es gibt modische Handtaschen, es gibt Rollkoffer, doch wer nutzt denn schon einen Rucksack? (wir sind ja schließlich keine Grundschüler mehr!)
Und genau da bin ich wohl in die Weltwissen-Falle getappt. Hab einfach angenommen, selbstverständlich wäre selbstverständlich.
Und plötzlich wird das auch mit der Liebe und Geduld einfacher. Natürlich muss ich Leuten erklärn, wie sie die Träger ihrer Babytrage festziehen. Überhaupt wie solche Gurtbänder funktionieren. In welchem Winkel man ziehen muss, und wie man das ganze einfach wieder lockern kann. Das ist nämlich überhaupt nicht so trivial. Und dann kann ich mich auch gleich noch mehr mit den Mamas freuen. Sie haben nämlich nicht nur eine Babytrage, sie können sie auch sinnvoll bedienen. Sollten sie irgendwann mal einen Wanderrucksack haben, dann können sie den jetzt sicher auch einstellen. Wie wunderbar doch das Leben plötzlich sein kann.
Wie gut, dass es mich gibt. :-)